Rede von Titus Schüller zu Haushaltsberatungen im Nürnberger Stadtrat
Heute fanden im Nürnberger Stadtrat die Haushaltsberatungen für das Jahr 2021 statt. Hier die Rede von LINKEN-Stadtrat Titus Schüller:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien,
warum sind Sie heute hier? Besonders groß scheint der Beratungsbedarf an diesem Haushalt ja nicht zu sein, wenn man beachtet, dass die Stadträtinnen und Stadträte der drei größeren Fraktionen keine Änderungsanträge gestellt haben. Schade eigentlich.
+++ Für gute Arbeit +++
Wir leben angespannten Zeiten: Corona zeigt, was wirklich wichtig ist: Es sind nicht die Herren in den Vorstandsetagen der Banken und Konzerne, sondern es sind die Kolleginnen in der Pflege, es sind die Verkäuferinnen an der Supermarktkasse, es sind die Kollegen von der Müllabfuhr, es sind die Bus- und U‑Bahn-Fahrerinnen. Es sind all diejenigen, die unser öffentlichen Leben in dieser Zeit am Laufen halten. Ihnen gilt unser Dank.
Wenn der Nürnberger Gewerkschaftschef Stephan Doll öffentlich anmerkt, dass die aktuelle Krise doch überdeutlich zeigt, dass die Spitzenverdiener in diesem Land nicht länger geschohnt werden dürfen, dann trifft er den Nagel auf den Kopf. Die Unterfinanzierung unserer Kommunen schlägt jetzt in der Krise voll durch. Wir werden gezwungen, die Verschuldung weiter hochzutreiben um den Landen am Laufen zu halten und unseren Kindern nicht eine total marode öffentliche Infrastruktur zu überlassen. Doch eines sollte dabei nicht vergessen werden: Die Schulden der einen, sind die Vermögen der anderen. Und an diese zum Teil unverschämt hohen Vermögen muss man endlich ran, um soziale Sicherheit für Alle garantieren zu können und den ökologischen Umbau voranzutreiben.
Heute soll ja eine massive Kapitalaufstockung für den Flughafen und die Messe beschlossen werden. Wir als LINKE sagen ganz klar und deutlich: Wenn nun öffentliche Gelder in diese Beteiligungsunternehmen fließen, muss das verbunden werden mit einer Arbeitsplatzgarantie für die Beschäftigten. Wir fordern Sie auf Herr Oberbürgermeister, klar dazu Stellung zu beziehen.
An dem heutigen Tag sind ja auch die Verhandlungen zwischen den Tarifpartner der Service-GmbHs an den verschiedenen bayerischen Kliniken. Herr Oberbürgermeister, Sie haben im Wahlkampf das Versprechen gegeben, die Zweiklassen-Gesellschaft am Klinikum Nürnberg zu beenden. Was in Fürth geht, muss auch in Nürnberg funktionieren. Ein öffentlicher Arbeitgeber wie das Klinikum Nürnberg muss ein Vorbild für gute Arbeit sein, deshalb müssen die extrem niedrigen Löhne in der Klinikum Nürnberg Service Gesellschaft beendet und auf das Niveau des öffentlichen Dienstes gehoben werden. Die Beschäftigten, die Patientenzimmer und Operationssäle reinigen oder OP-Besteck sterilisieren sind systemrelevant und müssen vor Armutslöhnen geschützt werden. Angesichts von Vorstandsgehältern von über 300.000 Euro sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. Wir werden Sie, Herr Oberbürgermeister so lange daran erinnern, bis Sie Wort halten. Und ich darf Ihnen die frohe Botschaft überbringen, dass der Ingolstädter Stadtrat letzte Woche beschlossen hat, die Mitarbeiter der Service GmbH wieder nach dem TVöD zu bezahlen. Es geht also – und es ist auch eine Frage der Kultur.
+++ Kultur für Alle +++
Womit wir beim nächsten Thema wären: Wir als LINKE haben ja von Anfang an die Bewerbung als Kulturhauptstadt kritisiert und gefordert, die 5 Million Euro Bewerbungskosten lieber direkt in kulturelle Projekte zu investieren. Wir konnten uns damit leider nicht durchsetzen.
Altbürgermeister Klemens Gesell (CSU) hatte 2016 vollkommen richtig die Frage gestellt, ob mit der kostspieligen Bewerbung der richtige Schwerpunkt in der Stadtpolitik gesetzt wird. Es wäre sinnvoll gewesen, auf Klemens Gesell und die LINKEN zu hören und die Nürnberger Bürger bei dieser Bewerbung mitzunehmen und nicht über die Köpfe der Bevölkerung zu entscheiden.
Immerhin wurden die über 5 Million Euro für die Bewerbungskosten durch die Wiedereinführung der Gebühren bei der Stadtbibliothek aufgebracht. Auch ein Thema, welches man wieder auf die Agenda setzen muss. Die Wiedereinführung der Gebühren hat einen Rückgang der Nutzer um 10 Prozent nach sich gezogen. Kein gutes Zeichen für den Bildungscampus Nürnberg.
Fest steht: Wir brauchen, entsprechend der großartigen Tradition von Hermann Glaser, gelebte Kultur für Alle, keine teuren Titel und auch keinen überteuerten Konzertsaal für 200 Millionen Euro. Und deshalb möchte ich dieser Stelle dem Oberbürgermeister gratulieren, dass Sie die Reißleine gezogen haben und den Konzertsaales auf Eis gelegt haben. Und auch die Bäume vor der Tür werden es danken.
Trotzdem muss ich in Richtung der Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) deutlich kritisch anmerken: Dass der Auftrag für die Orgel für über 3 Million Euro vor der endgültigen Entscheidung erteilt wurde, ist ein Skandal, der die Stadt viel Geld kosten wird. Es ist wie bei der Maut: Vor lauter Übermut und dem – ich zitiere – „Anspruch auf internationale Erstklassigkeit“ wurde auf Andi Scheuer gemacht. Übernehmen Sie dafür die Verantwortung. Nürnberg braucht einen Neustart in der Kulturpolitik.
+++ Armut bekämpfen +++
Wir haben ein großes Problem in unserer Stadt: Über 20 Prozent der Nürnbergerinnen und Nürnberger leben in Armut und können faktisch an ihrer schönen Stadt nur sehr, sehr eingeschränkt teilhaben. Besonders betroffen sind vor allem Kinder und deren Eltern, insbesondere Alleinerziehende — zunehmend Rentnerinnen und Rentner, aber auch viele Menschen, die morgens aufstehen, in die Arbeit gehen und am Ende des Tages nicht von ihrem Lohn leben können. Über 6.000 Menschen sind auf die Hilfe der Tafeln angewiesen. Es ist traurig, dass in einem so reichen Land, so etwas überhaupt notwendig ist! Über 10.000 Nürnbergerinnen und Nürnberger suchen eine bezahlbare Wohnung und finden oft keine.
Die Kosten der Unterkunft wurden 2019 angehoben – doch leider waren schon bei Beschlussfassung die zugrunde gelegten statistischen Zahlen veraltet und das angeblich schlüssige Konzept ist so unschlüssig, dass man es nicht versteht. Am Ende führt das dazu, dass man für die festgelegten Summen, kaum eine Wohnung findet. Viele arme Familien kommen mit den angesetzten KdU nur zurecht, weil sie in unglaublich beengten Verhältnissen wohnen. Zugleich gibt es kaum eine deutsche Großstadt, in der die Familien soviel Geld aus dem Regelsatz für die Miete oben drauf legen müssen. Das Geld fehlt dann beim Essen, bei der Kleidung, bei der Bildung. Das ist nicht hinnehmbar, da muss nachgebessert werden.
+++ Bezahlbare Mieten ++++
Aber nicht nur ganz arme Familien sind von den steigenden Mieten betroffen, sondern fast alle Familie der Arbeiterklasse. Die Nürnberger Mieten sind gemessen am durchschnittlichen Einkommen genauso hoch wie in München. Es ist keine Seltenheit, dass Haushalte weit über 40 Prozent ihres Gehaltes an die Immobilieneigentümer abführen müssen. Deshalb braucht es drei Maßnahmen:
- Mehr Sozialwohnungen von Trägern, die langfristig das Ziel haben bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Da muss auch die städtische wbg Gas geben. Als ich geboren wurde gab’s in Nürnberg über 60.000 Sozialwohnungen, heute um die 18.000. Da muss man sich über steigende Mieten nicht wundern. Das Motto „bauen, bauen, bauen“ nutzt nichts, wenn fast nur teure Eigentumswohnungen gebaut werden.
- Wir müssen günstige Mieten im Bestand sichern. Da gibt es kommunale Möglichkeiten, wie Milieuschutzsatzungen und natürlich ist auch hier die wbg gefordert. In München gibt es z.B. einen 5‑jährigen Mietenstopp in den kommunalen Wohnungen.
Aber natürlich ist auch der Gesetzgeber gefordert. Wir brauchen einen Mietenstopp und einen Mietendeckel. Für uns als LINKE ist klar: So wie im Wirtshaus der Deckel unters Bier kommt, so muss bei den Mieten der Deckel endlich oben drauf. Rot-rot-grün in Berlin macht es vor.
Und die Gemeinnützigkeit für Wohnungsgesellschaften, die günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen wollen, muss wieder her. Jeder Polizeichor ist gemeinnützig – aber unsere wbg soll es nicht sein dürfen? Das ist nicht nachvollziehbar. - Die Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte muss ersetzt werden durch eine Ausweitung der kommunalen Bodenpolitik. Städtischer Grund und Boden darf nicht mehr verkauft werden, sondern muss für den Bau dauerhaft bezahlbarer Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Mir blutet heute noch das Herz, dass das Gelände unterhalb der Tafelhalle einfach an die Halunken der GBW – heute Dawonia – verkauft wurde. Echt unverzeihlich.
Zum Positiven: Nürnberg hat ja nun endlich eine Leerstands- und Zweckendfremdungssatzung. Das ist gut, muss aber auch umgesetzt werden. Der Stadtrat sollte sich damit, in den nächsten Monate eingehend beschäftigen und schauen, wo noch nachgebessert werden muss.
+++ Stadt des Friedens und der Menschenrechte +++
Aus der Geschichte unserer Stadt ergibt sich eine große Verantwortung. Nicht umsonst hat sich die Stadt den Titel „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ gegeben.
Nürnberg hat sich als sicherer Hafen für geflüchtete Menschen positioniert. Das bedeutet, dass es selbstverständlich sein muss, dass wir Menschen in Not helfen und dass wir Menschen, die dauerhaft hier Leben, dabei unterstützen eine Arbeitserlaubnis zu erhalten und menschenwürdig wohnen zu können. Ermessensspielräume müssen genutzt werden — daran messen wir die Verwaltung.
Insgesamt stellen wir fest, dass das Thema Frieden (und Krieg) von unserer Stadtverwaltung zu wenig Aufmerksamkeit erfährt. In den Nürnberger Prinzipien steht in absolut klaren Worten, dass Angriffskriege als Verbrechen gegen den Frieden völkerrechtlich strafbar sind. Wenn in Syrien permanent völkerrechtswidrig Krieg geführt wird braucht es ein klares Statement auch von unserer Stadtspitze. Für uns ist der Titel „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ Anspruch, Maßstab und Mahnung zugleich.
Die demokratischen Parteien sind — mit all unseren Unterschieden — dazu verpflichtet, sich den Ewiggestrigen entgegenzustellen. Wenn Ministerpräsiden Söder jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt – „und sei es nur der Kaffeeplausch in einem Kommunalparlament“– dann ist das ein guter Maßstab.
Aber ich befürchte zugleich, dass eine klare Kante gegen Rechts alleine nicht ausreichen wird. Wir sollten die sozialen Abstiegsängste der Menschen ernst nehmen und nicht relativieren. Wir sollten weiterhin für Respekt und eine weltoffene Gesellschaft eintreten. Beides zusammen – soziale Sicherheit auf der einen Seite sowie Respekt und Weltoffenheit auf der anderen Seite – sind notwendig um das Abrutschen in autoritäre Verhältnisse zu verhindern.
+++ Verkehrswende +++
Zum Schluss zur Verkehrspolitik: Wir stehen vor großen sozialen und ökologischen Herausforderungen. Deshalb freue ich mich, dass wir in diesem Jahr die Weichen in eine andere Richtung stellen konnten, wie in der Vergangenheit. Im Januar wird nun das Sozialticket für 15 Euro ohne Ausschlusszeiten eingeführt. Zwei Jahre später kommt dann das 365-Euro-Ticket. Danke an dieser Stelle nochmal an die über 20.000 Unterstützer:innen des Bürgerbegehrens und auch an Stadtspitze, dass wir dann diesen gemeinsamen Weg gefunden haben.
Jetzt haben 26.000 Nürnberger:innen für das Radbegehren unterzeichnet. Die Bürger zeigen, dass Sie die Verkehrswende wollen, jetzt muss politische nachgezogen werden. Ich sage ganz klar: Der Stadtrat sollte die Forderungen des Radbegehrs übernehmen. Der Flickenteppich im Radwegenetz muss überwunden werden. Ich sage aber auch: Sollte der Stadtrat zaudern, freuen wir uns über eine starke Kampagne beim Bürgerentscheid Ende April.
Und weil es dazu gehört: Wir nehmen zur Kenntnis, dass der Ausbau des Frankenschnellweges geschoben wird. Noch besser wäre es, dieses Projekt aus dem vergangenen Jahrtausend endgültig zu beerdigen. Wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt und freuen uns über Zustimmung.
+++ Abstimmung +++
Die CSU hat mich gestern gefragt, ob wir den Haushalt zustimmen. Wir werden dem Haushalt wie er jetzt vorliegt selbstverständlich nicht zustimmen. Aber ich gehe davon aus, dass die Groko unsere Änderungsanträge in weiten Teilen übernimmt und dann könnten Sie mit unserer Zustimmung rechnen.
Ich wünsche uns allen spannende Beratungen. Vielen Dank!