DIE LINKE.
im Stadtrat
02.02.2021
Anwendung der inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse ist im Gegensatz zu den zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten, die im Falle eines vorangegangenen Asylverfahrens durch das BAMF geprüft werden, Teil des Aufgabenbereichs der örtlichen Ausländerbehörde. Im Falle der Feststellung eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses ist zwingend der Aufenthaltsstatus einer Duldung durch die Ausländerbehörde zu erteilen. Duldungen können aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen erteilt werden, z.B. wenn eine schwere Erkrankung der ausreisepflichtigen Person vorliegt, wenn durch eine Abschiebung Familien auseinandergerissen werden würden oder wenn die betroffene Person keinen Pass besitzt. Zudem gibt es noch die Sonderfälle der Beschäftigungsduldung und der Ausbildungsduldung.
Für einen humanen Umgang mit gesetzlich ausreisepflichtig gewordenen Menschen in unserer Stadt sieht der Gesetzgeber die Pflicht der Überprüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse durch die örtliche Ausländerbehörde vor. Immer wieder gerät jedoch die Nürnberger Ausländerbehörde in die Kritik, eine solche Prüfung nicht durchzuführen und Menschen ungerechtfertigterweise abzuschieben. Die im Folgenden angeforderten Informationen sollen zur Transparenz rund um die Thematik beitragen.
Zunächst finden Sie einen Auszug aus einer Antwort des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zur Zuständigkeit der örtlichen Ausländerbehörden:
„4.2. Zuständigkeiten der Ausländerbehörden
4.2.1. Asylunabhängige Aufenthaltstitel
Nach erfolgloser Beendigung des Asylverfahrens besteht die Möglichkeit, einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel zu beantragen. In Betracht kommt gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG aber nur die Beantragung eines humanitären Aufenthaltstitels nach den §§ 22 – 26 AufenthG. Wurde der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, z.B. weil der Asylbewerber über seine Identität getäuscht hat, ist eine entsprechende Antragstellung ausgeschlossen, § 10 Abs. 3 S. 2 AufenthG. Zuständig für die Gewährung der humanitären Aufenthaltstitel außerhalb des Asylverfahrens sind die Ausländerbehörden, § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG.
4.2.2. Duldung
Die Ausländerbehörden entscheiden ferner über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a AufenthG. In § 60a Abs. 2 AufenthG sind die sog. inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse geregelt. Ist die Abschiebung oder rechtlich unmöglich, besteht ein Anspruch auf Duldung, § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG. Eine Anspruchsduldung greift ferner, wenn die Anwesenheit des Ausländers im Zusammenhang mit einem Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, § 60a Abs. 2 S. 2 AufenthG. Darüber hinaus kann eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG gewährt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (Ermessensduldung). Zuständig für die Prüfung der Duldungsgründe sind nach § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG die Ausländerbehörden.“
Quelle: WD‑3–134-16-pdf-data.pdf (bundestag.de)
Wir beantragen im Rahmen einer Stadtratssitzung einen Bericht der Verwaltung zu folgender Fragestellung:
- Wie setzt die Nürnberger Ausländerbehörde die Prüfung von sogenannten inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen um?
- Wird eine Prüfung der inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse vor einer bevorstehenden Abschiebung oder bei der Feststellung der Ausreisepflicht standardmäßig bei allen anstehenden Abschiebungen oder Feststellungen der Ausreisepflicht durchgeführt und in welcher Form werden die inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse überprüft? Welche Schritte unternimmt dabei die Behörde?
- Wie viele Abschiebungen und Feststellungen der Ausreisepflicht wurden angeordnet? Wurden bei allen anstehenden Abschiebungen und Feststellungen der Ausreisepflicht inlandsbezogene Abschiebungshindernisse überprüft, wenn ja, in welcher Form? Wie viele Menschen wurden im Anschluss abgeschoben, wie viele davon vorher in Abschiebehaft überstellt und wie viele erhielten eine Duldung? Wir bitten um eine Aufstellung der Daten nach Kalenderjahr und Monat ab 2016.
- Wie vielen Anträgen auf Duldung wurde stattgegeben? Welches waren die Gründe für die Duldung? Wir bitten um eine Aufstellung der Daten nach Kalenderjahr und Monat ab 2016.
- Wie vielen Anträgen auf Beschäftigungs- und Ausbildungsduldung wurde stattgegeben, wie viele wurden abgelehnt? Wir bitten um eine Aufstellung der Daten nach Kalenderjahr und Monat ab 2016.
- In wie vielen Fällen wurden von den von einer baldigen Abschiebung oder Feststellung der Ausreisepflicht betroffenen Personen fachärztliche Atteste vorgelegt und eine Duldung aufgrund von Krankheit beantragt? Bei wie vielen dieser Fälle wurde die Duldung erteilt und bei wie vielen Fällen wurde keine Duldung erteilt? Aus welchem Grund wurden Duldungen ereilt bzw. nicht erteilt? Welche ICD-10-Klassifikationen führten zu einer Duldung, welche nicht? Wir bitten um eine Aufstellung der Daten nach Kalenderjahr und Monat ab 2016.
- Welche Nationalität hatten die Menschen, bei denen eine Ausreisepflicht festgestellt wurde und welche Nationalität hatten diejenigen, bei denen eine Abschiebung vollzogen worden ist? Wir bitten um eine Aufstellung der Daten nach Kalenderjahr und Monat ab 2016.
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