DIE LINKE.
im Stadtrat
20.01.2021
Rückholung von Mimi T.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
der Stadtrat möge Folgendes beschließen:
- Die Verwaltung veranlasst die Rückholung der abgeschobenen Mimi T. aus Äthiopien auf Kosten der Stadt Nürnberg.
- Eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Entscheidungsträger:innen der Nürnberger Ausländerbehörde ist einzuleiten.
Begründung
Zur Dringlichkeit: Die Dringlichkeit ergibt sich aus des schlechten Gesundheitszustands von Mimi T. und der damit einhergehenden Dringlichkeit einer Rückholung in ihr soziales Umfeld, in dem sie sicher ist und eine adäquate medizinische Behandlung erfolgen kann. In Äthiopien hat Mimi T. weder Familie noch materielle Rücklagen.
Zum Antrag: Mimi T. wurde zu Unrecht abgeschoben, da die Ausländerbehörde Nürnberg ihrer Pflicht, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu überprüfen, nicht in nachgekommen ist. Dieser Fehler, der einen klaren Rechtsbruch darstellt, muss umgehend korrigiert werden, da Mimi T.s Leben dadurch wissentlich und wider besseren Wissens in Gefahr gebracht wurde.
Am 23. November wurde Mimi T. in Abschiebehaft verbracht, woraufhin ein Abschiebungsversuch aufgrund der Zivilcourage des Piloten, der auf Die Deportation aufmerksam gemacht worden war, scheiterte.
Allein die Abschiebehaft war ab dem 14.12.20 nicht zulässig, da das Amtsgericht Frankfurt am 14. Dezember den Haftbeschluss aufgehoben hatte, nachdem eine Deportation nicht bis zur Kalenderwochen 51 stattgefunden hatte. Bei der dann stattfindenden Haftprüfung lag kein Haftantrag der Nürnberger Ausländerbehörde vor, sodass dieser erst im Nachgang vom Richter eingeholt werden musste. Allein diese Vorgänge sind bereits unzulässig.
Der Betroffenen ging es in Haft psychisch und körperlich so schlecht, dass mit der Abschiebung nach Äthiopien zumindest billigend ihr Tod auf jeden Fall jedoch ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wurde. In der Haftanstalt kam es zu einem Suizidversuch und aus Gesprächsprotokollen mit Unterstützer:innen geht hervor, dass Mimi T. desorientiert und schwer depressiv war. Ein fachärztliches Gutachten von Dr. Merkle bestätigt, dass Mimi T. die Abschiebung wohl aufgrund einer schweren depressiven Episode und einer damit einhergehenden Suizidgefahr nicht überleben würde. Desweiteren war auch der körperliche Zustand der Betroffenen äußerst kritisch, da sie in der Haft deutlich an Gewicht verloren hatte und weder Essen noch Medikamente bei sich behalten konnte. Es lag auch eine Dehydrierung vor, die durch eine Infusion behoben werden musste. Ein Gutachten des Klinikums Ingolstadt bestätigt die Depression und den schlechten körperlichen Zustand sowie die nicht bestehende Reisefähigkeit. Dieses Gutachten wurde von der Behörde veranlasst und schließlich nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen, obwohl es – genau wie das Gutachten von Dr. Merkle – den formalen Kriterien entspricht. Das das fachärztliche Gutachten aus Ingolstadt nicht von der Nürnberger Ausländerbehörde anerkannt wurde, wird bestätigt im Schreiben der JVA-Eichstätt vom 28.12.2020. Die ärztlichen Atteste belegen klar den Rechtsbruch der Behörde, die ihrer Pflicht der Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse nicht nachgekommen ist. Denn sie machen deutlich, dass bei der Betroffenen ein suizidaler Zustand aufgrund einer schweren Depression vorliegt. §60 Absatz 2 und insbesondere 2d belegen die fehlende Rechtmäßigkeit des behördlichen Vorgehens. §60 Absatz 2 des AufenthaltsG besagt: „Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. […] Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern.“ In Abschnitt 2c und d heißt es weiterhin: „(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor.“
Mimi T. war schon länger in psychotherapeutischer Behandlung aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung, da sie in ihrer Heimat Äthiopien und während ihrer Zeit in Dubai sexualisierter Gewalt ausgesetzt war. Dies war der Nürnberger Ausländerbehörde bekannt .In Deutschland fand sie jedoch ein sicheres Umfeld und heiratete, sodass sie aufgrund der verbesserten Lebensumstände und der Therapie die Probleme in den Griff bekommen konnte. Durch den für sie unerwarteten Abschiebungsversuch und die Abschiebehaft verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch und es kam mutmaßlich zu einer Retraumatisierung, aus der der Suizidversuch und die schwere Depression in der Haft erfolgte.
In der Abschiebehaft war es Mimi T. natürlich persönlich nicht möglich, die in 2c erforderlichen Unterlagen beizubringen. Diese Pflicht obliegt in der Abschiebehaft der Behörde, in dem Fall der Ausländerbehörde Nürnberg. Weswegen das von der Behörde eigens eingeholte Gutachten aus dem Klinikum Ingolstadt letztendlich nicht ernst genommen wurde, genauso wenig wie das Gutachten von Dr. Merkle und stattdessen ein Gutachten des Anstaltsarztes herangezogen wurde, bleibt schleierhaft und muss als Pflichtverletzung gesehen werden, die eine Dienstaufsichtsbeschwerde rechtfertigt.
Im weiteren Verlauf wurde Mimi T. im Rollstuhl und in Begleitung von Polizist:innen abgeschoben und in eben diesem Rollstuhl ohne ihre persönlichen Habseligkeiten oder Geld, lediglich mit ihrem Handy — ohne Akku – in Addis Abeba ohne Hilfe abgesetzt wurde. Auch dies stellt nach § 60a Abs. 2 AufenthaltsG einen Rechtsbruch dar. So urteilt das VGH Baden-Württemberg mit Beschluss vom 10.08.2017 – Aktenzeichen 11S 172/17 Abschnitt 31 und 32 zur Durchführung von Abschiebungen bei hoher Suizidgefahr, dass eine „bloße ärztliche Flugbegleitung nicht ausreiche, um das Risiko eines Suizids des effektiv einzudämmen. Die mit der Abschiebung betraute Behörde hat die aus Art. 2 Abs. 2 GG erwachsende Pflicht, durch eine hinreichende Ausgestaltung der tatsächlichen Durchführung der Abschiebung erhebliche Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen abzuwenden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.09.2014 — 2 BvR 939/14 -, NVwZ 2 ) Die grund- und menschenrechtliche Verpflichtungen deutscher Behörden umfassen im Fall einer Abschiebung deren Durchführung einschließlich einer — in Einzelfällen — erforderlichen Übergabe an medizinisch hinreichend qualifiziertes Personal im Zielstaat der Abschiebung (BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.09.2014 — 2 BvR 939/14 -, NVwZ 2014, 1511 Rn. 14; vgl. auch EGMR (GK), Urteil vom 13.12.2016 — 41738/10 — < Paposhvili > Rn. 205). Aus der zitierten, neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Verfahren Paposhvili gegen Belgien geht überdies hervor, dass Art. 3 EMRK vor einer Abschiebung, die zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustands, die zu schwerem Leiden oder einer erheblichen Verringerung der Lebenserwartung führt, schützt (EGMR (GK), Urteil vom 13.12.2016 — 41738/10 — < Paposhvili > Rn. 183 unter teilweise Aufgabe anderslautender Rechtsprechung). Bei ernstlichen Zweifeln daran, ob eine hinreichende Versorgung im Zielstaat der Abschiebung sichergestellt ist, ist der abschiebende Staat gehalten, eine individuelle und hinreichende Zusicherung des Zielstaats einzuholen, um das Seinige getan zu haben, sicherzustellen, dass die von der Abschiebung betroffene Person sich nicht in Umständen wiederfindet, die mit den Vorgaben von Art. 3 EMRK nicht zu vereinbaren sind (EGMR (GK), Urteil vom 13.12.2016 — 41738/10 — < Paposhvili > Rn. 191; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.02.2017 — 11 S 447/17 -, InfAuslR 2017, 189). Dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass derzeit eine wirksame negative Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG zu Lasten des Antragstellers vorliegt, an die die Antragsgegnerin gebunden ist (vgl. § 42 AsylG). Denn die damit verbundene Feststellung, dass die schwerwiegenden Erkrankungen des Klägers in einer Weise behandelt werden können, die zu einer Verneinung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote führt, sagt nichts darüber aus, ob der Abschiebungsvorgang selbst so ausgestaltet worden ist, dass die abstrakt-generell erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten erforderlichenfalls konkret-individuell, also vom Antragsteller am Tag seiner Ankunft im Zielstaat der Abschiebung, auch tatsächlich erreicht werden. Während die erste Frage eine zielstaatsbezogene ist und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen eines Asylverfahrens zu prüfen ist, ist die letztere Frage auf die Vollstreckung der Ausreisepflicht, also die Abschiebung, bezogen und von der für die Abschiebung zuständigen Behörde zu beantworten.
Wie dargelegt, endet die grundrechtliche Verantwortung des Antragsgegners nicht mit der Beendigung des technischen Abschiebungsvorgangs, sofern die Abschiebung eine wesentliche Ursache für den Suizid oder schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustandes bildet. […]Und schließlich genügt ein „Weitertragen“ einer eventuellen Verschlechterung des Gesundheitszustandes während des Fluges nicht, um angesichts der medizinischen Vorgeschichte eine adäquate medizinisch-psychologische Aufnahme des Antragstellers sicherzustellen, zumal sich aus der Akte nicht nur keine Hinweise darauf ergeben, dass der mit der Abschiebung betrauten Bundespolizei bzw. der zur Begleitung vorgesehenen Ärztin überhaupt die medizinischen Hintergründe in ausreichender Form mitgeteilt worden sein könnten.“
Im Fall von Mimi T. erfolgte trotz körperlicher Schwäche und einer schweren depressiven Episode keine ärztliche Begleitung, geschweige denn eine Übergabe an medizinisches Personal im Zielland. Sämtliche Rechte der Betroffenen wurden dadurch verletzt, unter anderem das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art.2, Abschnitt 2 GG). Das Urteil des Verwaltungsgerichtshof legt deutlich dar, dass in einem solchen Fall die abschiebende Behörde, also die Ausländerbehörde Nürnberg verantwortlich ist. Ein solcher Rechtsbruch muss also in der Rückholung sowie einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Entscheidungsträger:innen münden, die wider besseren Wissens das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Mimi T. verletzt haben.
Im Anhang finden Sie die ärztlichen Gutachten, Gesprächsprotokolle aus dem Gefängnis und das Schreiben der JVA-Eichstätt zum Fall.
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Özlem Demir | Kathrin Flach Gomez | Titus Schüller |